Dr. Elesha und ihre Arbeit mit Sexworker:innen
Seit ich 19 bin, spielt Sexarbeit eine zentrale Rolle in meinem Berufsleben. Ich erinnere mich noch an das Gespräch, mit dem alles begann: Ich lehnte an der Tür zur Toilette hinter der Bibliothek meiner Uni. Ich hatte die Aufgabe, ein Essay über ‘Sexual Health’ Aufklärung und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Geschlechtskrankheiten-Rate zu schreiben. Da ich mich bereits in Schulen mit dem Thema Sexualkunde auseinandergesetzt hatte, fühlte ich mich wenig inspiriert und suchte nach einem anderen Ansatz. Ich unterhielt mich mit einer Freundin aus einem Jahrgang über mir, sie hatte gerade einige Vorlesungen über die vergessenen Gruppen im Bereich ‘Sexual Health’ gehabt: Eine dieser Gruppen waren Sexarbeiter:innen. Eine schnelle Literaturrecherche zeigte mir, dass es genug Daten gab, um ein sehr viel interessanteres Essay zu schreiben, aber gleichzeitig nicht genug Unterstützung oder Infrastruktur für diese Gruppe von Menschen.
In meinem ersten Essay legte ich den Fokus auf die Maßnahmen im Bereich ‘Sexual Health’ für Sexarbeiter:innen in Großbritannien. Dabei lernte ich über die Kriminalisierung von Sexarbeit und wie sie sich auf die Gesundheit von Sexarbeiter:innen auswirkt. Durch gründliche und ausgewogene Recherchen kam ich zu dem Schluss, dass eine Entkriminalisierung zu mehr Selbstbestimmung unter denjenigen führen kann, die sich aus freien Stücken für Sexarbeit entschieden haben, und gleichzeitig diejenigen unterstützt, die dazu gezwungen werden oder gefährdet sind. Das Konzept der Entkriminalisierung kann, meiner Meinung nach, viele positive Auswirkungen haben, auch wenn viele Menschen der Meinung sind, dass dadurch die Zahl der Sexarbeiter:innen steigen würde – ein Irrglaube.
Nachdem ich mein Essay eingereicht und versucht hatte, herauszufinden, wie ich mich für die Sache einsetzen könne, kam es zu einem weiteren perfekten Zufall: Eine örtliche Wohltätigkeitsorganisation für Obdachlose hielt einen Gastvortrag an meiner Universität, in dem sie ausführlich über ihre Arbeit mit Sexarbeiter:innen sprach. Am Ende der Vorlesung ging ich auf das Team zu, erläuterte meine Forschungsarbeit und meinen Wunsch, Teil der Veränderung zu sein. Sie empfingen mich mit offenen Armen und erzählten, dass sie neue Mitarbeiter:innen für die Außendienst-Arbeit suchten... und das war's! Die nächsten fünf Jahre meines Medizinstudiums verbrachte ich damit, eine Nacht pro Woche als Außendienst Sozialarbeiterin in Brixton, Südlondon, zu arbeiten. Wir verteilten Kondome, Kleidung und Lebensmittel. Wir boten Gesundheits-, Sozial- und Rechtsberatung an. Es stellte sich heraus, dass viele der Sozialarbeiter:innen selbst Sexarbeiter:innen gewesen waren. Sie wussten also genau, was Sexarbeiter:innen wirklich brauchten und brachten so Fähigkeiten mit, um die Gesundheit dieser oft vernachlässigten Community in Großbritannien zu unterstützen.
Ich arbeitete zusätzlich weiter an der akademischen Perspektive. Ich schrieb eine Doktorarbeit, in der ich die rechtlichen Rahmenbedingungen für Sexarbeit und die gesundheitlichen Folgen auf der ganzen Welt verglich. Ich entwickelte Lehrmittel für Medizinstudent:innen und Angehörige der Gesundheitsberufe, um eine aufgeschlossene und ganzheitliche Pflege zu fördern. Während meines Praktikums im Bereich der öffentlichen Gesundheit untersuchte ich die entkriminalisierte Zone in der nordenglischen Stadt Leeds und die, im Vergleich zum Rest des Landes verbesserten, Gesundheitsergebnisse für Sexarbeiter:innen. Ich vertiefte mich voll und ganz in das Thema und schuf mein eigenes Teilgebiet der Arbeitsmedizin!
Mit einem Katalog von Beweisen und dem aufrichtigen Wunsch, zu lernen und zu helfen, wandte ich mich an das ‘New Zealand Prostitutes Collective’ (NZPC). NZPC wurde 1987 von einer Gruppe von Sexarbeiter:innen, darunter Dame Catherine Healy, als Reaktion auf den mangelnden Zugang zu medizinischer Versorgung und Arbeitnehmerrechten gegründet und setzt sich seitdem unermüdlich für Sexarbeiter:innen ein. Sie waren maßgeblich an der Ausarbeitung des Prostitutionsreformgesetzes im Jahr 2003 beteiligt, mit dem fast alle Aspekte der Sexarbeit in Neuseeland entkriminalisiert wurden. Drei Tage nach meiner Zulassung als Ärztin saß ich im Flugzeug nach Wellington. Ich lebte und arbeitete zwei Monate lang mit dem Kollektiv. Ich lernte unglaubliche Menschen kennen und arbeitete mit Sexarbeiter:innen aus der ganzen Welt zusammen. Ich sorgte für die medizinische Versorgung, aktualisierte medizinische Guidelines und lernet noch viel mehr: In dieser Zeit kam ich zum ersten Mal mit Menstruationsschwämmen in Kontakt und lernte, welche Schwämme sicher sind (und welche nicht!) und wie man sie entfernt. Ich begann, unbewusste Vorurteile (Unconscious Bias) zu hinterfragen, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich sie hatte, während ich Berichte auf internationaler Menschenrechtsebene schrieb. Als ich nach Großbritannien zurückkehren musste, um ein Praktikum zu beginnen, brach mir mein Herz! Es war schlimmer als jede Trennung, die ich zuvor oder danach je erlebt habe.
Klicke hier für Eleshas Artikel "Soft-Tampons vs. Menstruationsschwämmchen – alles, was du wissen musst."
Nach meiner Rückkehr nach England arbeitete ich an der ‘London School of Hygiene and Tropical Medicine’. Ich war als ‘Community Researcher’ tätig und arbeitete mit der Sexarbeiter:innen-Community in East London zusammen. Ich befragte Sexarbeiter:innen zu ihren Erfahrungen mit Fachkräften des Gesundheitswesens und der Polizei. Zu meinen denkwürdigsten Interviews gehörten der Aufenthalt in einem bulgarischen Bordell und die Durchführung mehrerer Interviews in einem 24-Stunden-geöffneten McDonalds um drei Uhr morgens. Die Daten sind noch nicht vollständig ausgewertet, aber wie ihr euch vorstellen könnt, tragen die Kriminalisierung und das derzeitige Verhältnis der Sexarbeiter:innen-Community zur Polizei in Großbritannien, dazu bei, dass die Sexarbeiter:innen oft unglaublich schlechte Erfahrungen machen.
Covid hat die Dynamiken der Sexarbeit in Großbritannien massiv verändert: Große Teile sind nun online verortet und Plattformen wie OnlyFans wurden extrem erfolgreich. Den Sommer 2021 verbrachte ich damit, meine Arbeit als Sozialarbeiterin in Athen, Griechenland, fortzusetzen. Die Straßensexarbeiter:innen in Athen waren medizinischen Fachkräften gegenüber sehr misstrauisch – das lag vor allem daran, dass ein zu langer Aufenthalt unsererseits auf der Straße ihr Einkommen beeinträchtigen könnte.
Sexarbeiter:innen gehören zu einer vielfältigen und lebhaften Gemeinschaft, aber gerade die Kriminalität, in der sie sich international bewegen, macht sie oft angreifbar. Ich fordere euch also auf, euch zu informieren und euch unvoreingenommen mit den Themen rund um die Sexarbeit auseinanderzusetzen. Ich persönlich denke, dass es sich um ein wichtiges Thema handelt, über das ihr ganz eigene Entscheidungen treffen solltet.
Bei Fragen, meldet euch gerne bei mir. Meine Tür steht immer offen!
Xx, Dr. Elesha
Lerne mehr über Dr. Elesha hier oder lies ihren Artikel "Gleitgel 1x1" und erfahre alles, was du schon immer über Gleitgel wissen wolltest.