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Social Freezing – Ein persönlicher Erfahrungsbericht

Social Freezing – Ein persönlicher Erfahrungsbericht

Wir starten diesen Text mit einer polarisierenden These: Wer in einer bestimmten Berliner Bubble lebt und in den 20ern oder Anfang der 30er ist, beschäftigt sich wahrscheinlich mehr mit Verhütung als mit Kinderwünschen. Die Themen im Freundeskreis beschränken sich eher auf das Single-Dating-Leben, die Karriere oder wo es den besten Hummus der Stadt gibt, als darum eine Familie zu gründen. Und wenn doch einmal Kinder auftauchen, so folgt schnell ein: "War es etwa gewollt, oder ist das Kondom gerissen?"

 

Was aber, wenn beide Lebensentwürfe aufeinandertreffen – wenn man sich nicht vorstellen kann, Anfang 30 schon Kinder zu bekommen, die passenden Partner:innen noch nicht auf der Bild- oder Tanzfläche erschienen sind, die Karriere gut, aber eben noch nicht komplette-finanzielle-Unabhängigkeits-gut läuft, man noch so viel erleben will, aber man in der Zukunft auf jeden Fall Kinder möchte? Die Biologie macht uns hier meist einen Strich durch die Rechnung und scheint uns entgegenzuschreien: Entscheide dich, es geht nur eins von beidem! Womit die Biologie tatsächlich recht hat, ist, dass wir uns auch während unserer jüngeren, fruchtbaren Tage mit dem Thema auseinandersetzen müssen, denn wir können ihr nur trotzen, wenn wir ihr zuvor kommen.

 

Unsere Autorin hat genau das gemacht. Sie hat einen Weg gefunden, ihren aktuellen Lebensentwurf mit einem späteren Kinderwunsch zusammenzubringen: Social Freezing. Sie erzählt uns ihre Geschichte – von der Suche nach einer passenden Kinderwunschklinik, davon, selbst Hormone spritzen zu müssen, allen Nebenwirkungen, Kosten und den Ergebnissen. Ehrlicher und persönlicher geht's nicht. 

 

Disclaimer: Social Freezing ist natürlich nur eine von mehreren Möglichkeiten, sich mit dem Thema Kinderwunsch auseinanderzusetzen – und ist dazu auch noch extrem kostspielig. Besprecht euch unbedingt mit euren Gynäkolog:innen, bevor ihr eine Entscheidung trefft. 

 

 

Ich war Anfang 30 und hatte mich zwei Jahre zuvor selbstständig gemacht. Zwar lief das Geschäft sehr gut an, war aber immer noch nicht „aus dem Gröbsten raus“ und vor allem war weit und breit kein Mann in Sicht, mit dem ich es erwogen hätte, eine Familie zu gründen. Dazu kam, dass sich das Single-Leben in Berlin durchaus gut aushalten ließ.

 

Der ganze Spaß schaffte es trotzdem nicht, die Gedanken daran zu verdrängen, dass ich unbedingt irgendwann Kinder haben wollte. Gleichzeitig hatte ich einen ziemlich konkreten Plan, was ich vorher noch „erledigen“ wollte; Reisen, Feiern, mein Leben genießen… Vor allem aber war es mir wichtig, einen gewissen finanziellen Puffer zu haben, um voll für meinen Nachwuchs da sein zu können. Das würde aber mindestens noch fünf Jahre Zeit in Anspruch nehmen. Dann wäre ich 37 – ein Alter, in dem vielen Frauen das Kinderkriegen nicht mehr ganz so leicht fällt. 


Deine Fruchtbarkeit mit zunehmendem Alter

 

Ab einem Alter von 30 Jahren sinkt die Fruchtbarkeit, bei 35 Jahren hat sie einen Durchschnittswert von nur noch etwa 25 Prozent erreicht. Das heißt, die Eizellreserve, die übrigens von Geburt an festgelegt ist, neigt sich langsam, aber sicher dem Ende zu. Auch die Qualität der Eizellen und des Genmaterials nimmt ab. Hinzu kommen Faktoren, wie Lebensstil oder Krankheiten, die die Wahrscheinlichkeit senken können, schwanger zu werden. 


Was ist Social Freezing

 

Das Wissen darum machte mir zunehmend Druck und von Jahr zu Jahr wurde die Idee in meinem Kopf präsenter, Eizellen einfrieren zu lassen. Beim sogenannten Social Freezing geht es darum, sich unbefruchtete Eizellen ohne konkreten medizinischen Grund einfrieren zu lassen. Diese Möglichkeit gibt Frauen, die sich ihren Kinderwunsch derzeit nicht erfüllen können oder wollen, größere Chancen auf eine Schwangerschaft jenseits des Alters von 35 Jahren.

 

Nach dem Ende meiner letzten Beziehung begann ich mich konkreter mit Social Freezing auseinanderzusetzen und kontaktierte zuerst zwei Kinderwunschkliniken in Berlin. Vielleicht lag es daran, dass aufgrund der Corona-Pandemie die Erstgespräche nur online stattfinden konnten, aber ich fühlte mich bei keiner der beiden Kliniken besonders wohl. Die Ärzt:innen waren zu wenig einfühlsam oder die Klinik schien mir altbacken und nicht auf dem neuesten technologischen Stand. Keine Chance, dass ich einer der beiden mein Genmaterial anvertrauen würde. 

 

Glücklicherweise erhielt ich ein paar Monate später die Empfehlung einer Bekannten, es bei einer Kinderwunschklinik in der Münchner Innenstadt zu versuchen. Da meine Familie aus dem Süden kommt, schien es mir naheliegend, es dort zu versuchen. Die Erfahrung war hier von Anfang an viel positiver. Nach einem ersten Bluttest meinte der Arzt mit Augenzwinkern, meine Hormonwerte seien so gut, dass ich noch in 20 Jahren Kinder kriegen könne, wobei er trotzdem nicht empfehlen würde, es darauf ankommen zu lassen.


Die Fertilität bestimmen

 

Bei derartigen endokrinologischen Untersuchungen werden neben Progesteron und Östrogen, die Werte des Anti-Müller-Hormons (AMH) gemessen, wodurch sich eine Aussage über die Größe der übrigen Eizellreserve treffen lässt. Nicht-hormonelle Einflussfaktoren, wie die sonstige gesundheitliche Verfassung der Frau, die eine Rolle für die Fertilität spielen können, werden im Rahmen der Voruntersuchungen für das Social Freezing allerdings erst einmal außer Acht gelassen. 

 

Die Baby-take-Home Rate

 

Statistisch gesehen, benötigt man für eine 94-prozentige Baby-take-Home Rate (so nennt man den Anteil von Lebendgeburten bei Kinderwunschbehandlungen) für eine Frau meines Alters circa 20 eingefrorene Eizellen. Von den entnommenen Eizellen gehen beim Einfrieren durchschnittlich acht Prozent kaputt, weitere beim Auftauen. Eine erfolgreiche Befruchtung hängt aber auch von der Spermienqualität des Partners oder Samenspenders ab und selbst dann ist noch nicht gewährleistet, dass es zu einer Zellteilung, also zur Entstehung und zum Heranwachsen eines Embryos kommt.

 

Wie teuer ist Social Freezing?

 

Ich war jedenfalls entschlossen, die Sache durchzuziehen und hatte mir nach dem Termin in München die erste Hormonspritze für 700 € in der Apotheke besorgt, die ich mir am ersten Tag des nächsten Zyklus spritzen sollte. Ich hatte zuvor diverse Kostenvoranschläge von der Kinderwunschklinik bekommen, u.a. für die Eizellentnahme, Narkose sowie das Einfrieren (Vitrifikation) der Eizellen. Damit hatten die Kosten bereits bei grob 2500 € gelegen, zuzüglich der jährlichen Kosten von 300 € für die Aufbewahrung (Kryokonservierung). Zusätzlich erreichte mich ein paar Tage später bereits eine erste Rechnung über 950 € für Erstgespräch und Blutuntersuchung. Für weitere Hormonspritzen sollten später noch einmal 500 € hinzukommen, sodass die Gesamtkosten für den ersten Behandlungsdurchlauf bei insgesamt 4.500 € lagen.

 

Der Prozess: Social Freezing

 

Sich zum ersten Mal selbst eine zwei Zentimeter lange Nadel in den Bauch zu jagen, ist – euphemistisch gesagt – unangenehm. Die Reaktion auf die ersten Hormone war, bis auf einen leichten Schwindel und Wassereinlagerungen, erträglich. Blöderweise hörte meine Blutung am selben Tag wieder komplett auf und kam erst am nächsten Morgen wieder. Bis zu meinem nächsten Termin in der Klinik eine Woche später hatte ich also durchgehend Angst, dass ich die Spritze doch zu früh gesetzt haben könnte. 

 

Ich war erst beruhigt, als der Arzt mir nach dem Ultraschall bestätigen konnte, dass er voraussichtlich 15-20 Eizellen entnehmen könne. Endgültig ließe sich das aber erst nach der Follikelpunktion sagen. Nach einer weiteren Blutentnahme bekam ich einen OP-Termin fünf Tage später und sollte nun mit dem größeren Teil der Hormonbehandlung beginnen, der aus sieben weiteren Spritzen bestand.

 

Darunter waren drei Injektionen, die das Heranreifen der Eizellen stimulieren sollten und bei der ich die Flüssigkeit aus je vier verschiedenen Fläschchen zusammenmischen musste: Zwei Injektionen, die einen vorzeitigen Eisprung verhindern und zwei, die 32 Stunden vor der OP den Eisprung auslösen sollten. Der Arzt verglich die Behandlung mit einem Landeanflug, bei dem man abwechselnd bremsen und Gas geben müsse – ich dagegen fühlte mich eher wie eine Hefenudel, als mein Bauch von Tag zu Tag weiter anschwoll. Mir war immer wieder schlecht, schwindelig, ich war müde und war nach dem kleinsten Treppenabsatz außer Atem.


Die Eizellentnahme

 

Umso mehr freute ich mich auf den Tag der Eizellentnahme. Der Eingriff wurde ambulant durchgeführt und ich musste früh morgens nüchtern in die Klinik kommen. Dort bekam ich eine Zuckerlösung über den Tropf verabreicht und wurde eine Stunde später unter einer leichten Narkose operiert. 

 

Kurz vor der OP war ich mir noch sicher gewesen, dass ich es bei diesem einen Durchlauf belassen wollte. Ich hatte die Nebenwirkungen der Hormonbehandlung deutlich unterschätzt und wollte die Prozedur nicht noch einmal durchmachen müssen, selbst wenn es nur 15 Eizellen werden würden. Schließlich sollte das Ganze nur eine Art Back-up Plan sein. Ich würde wahrscheinlich ohnehin zuerst versuchen, auf natürlichem Wege schwanger zu werden und nur auf die eingefrorenen Eizellen zurückgreifen, wenn nötig.


Weniger Eizellen, als erwartet

 

Der Downer kam nur leider im Aufwachraum. Nachdem ich langsam wieder zu mir gekommen war, sagte die Krankenschwester: „So viele Eizellen sind es geworden“, und zeigte auf ein Blatt Papier, auf dem die Zahl „10“ geschrieben war. Nur halb so viele, wie ich erwartet hatte. Dazu bemerkte sie, dass ich im Laufe des Nachmittags eine E-Mail bekommen würde mit der Anzahl an Eizellen, die endgültig hätten eingefroren werden können. 

 

Ich war zu dem Zeitpunkt noch zu benommen, um irgendwie darauf zu reagieren, konnte aber kurz danach ein ähnliches Gespräch bei meiner Kabinennachbarin mithören. Die Frau fragte, warum es denn bei ihr so wenige geworden wären und bekam die Antwort, dass das Ergebnis jedes Mal anders sein könne und es trotz aller Behandlungsmöglichkeiten am Ende auch immer ein bisschen Glück brauche. Außerdem sei die Quantität nicht immer entscheidend. Tatsächlich nehme die Qualität der gewonnenen Eizellen mit zunehmender Anzahl ab, sodass es oft sogar besser sei, eine kleinere Stückzahl pro Behandlungszyklus zu entnehmen.

 

Laut der E-Mail, die ich später erhielt, gingen bei der Vitrifikation noch vier weitere meiner Eizellen verloren, sodass am Ende nur sechs Stück eingefroren werden konnten. Im ersten Moment war ich sehr enttäuscht, aber immer noch zu müde und benommen, um mir darüber Gedanken machen zu können. Es dauerte fast zwei Wochen, bis die Nebenwirkungen der Hormonspritzen endlich nachgelassen hatten und die Strapazen fast vergessen waren. Aber würde ich mir das Ganze wirklich noch einmal antun? Mit meinem Ziel vor Augen, meine Fertilität abzusichern, würde ich sagen: Ja! Allerdings frühestens in einem Jahr. Und dennoch: das Durchlaufen des ganzen Prozesses und alles, was ich dabei über mich und meinen Körper gelernt habe, würde ich durchweg als bereichernde Erfahrung bezeichnen.

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Die Autor:in

Nele Tüch

Nele war Senior Brand und Content Managerin von nevernot und schreibt Artikel an den Schnittstellen von Themen, wie sexuelle Befreiung, Feminismus und Gender-Theorien.